„Früher war alles besser“ ist keiner der Sprüche, den ich gern verwende, schon allein, weil ich mich dann immer uralt fühle. Aber manchmal kommen doch alte Erinnerungen hoch und ich denk mir, mönsch warum geht das heut nicht mehr.

Z.B. wenn ich an einen Tag denk, als ich mit einer Freundin in Wackersdorf war. Übliches Chaos, Gasgranaten, Wasserwerfer mit CS-Gas und Polizisten in Schildkrötenformation, die wahllos auf jeden einprügelten, der ihnen vor den Knüppel kam. Wir hatten einen Typen dabei, der ein bißl nervte, obwohl er eigentlich ein guter Kerl war. Nur seine Stories über die gefakte Mondlandung gingen einem schnell auf den Wecker. Gerade babbelte er wieder davon, dass es nur darum ging, die Russen abzuhängen. Ich wollte ihn grad mal etwas kräftiger anranzen, damit er Ruhe gab, da rief jemand „Da sind Nazis“. Tatsächlich stapfte ein Trupp schwarz gekleideter Typen daher. Keine Ahnung, warum sie sich grad in Wackersdorf blicken ließen, jedenfalls wollte sie keiner hier haben, und die Leute vom schwarzen Block gingen gleich auf sie los. Im Nu war eine wilde Schlägerei im Gang und die Polizisten nutzten die Gelegenheit, um von der andern Seite reinzuknüppeln. Das Ganze dauerte keine fünf Minuten, dann hauten die Nazis ab, die Polizisten zogen sich auch wieder zurück, wir leckten unsere Wunden. Immerhin, unser Mondlandungs-Zweifler gab jetzt Ruhe, er war damit beschäftigt, jemandem die Augen zu spülen, weil eine von den Gasgranaten in der Menge explodiert war. Den Rest der Story erzählte er uns auf der Heimfahrt. Zum gefühlt hundertsten Mal. Wir nahmen ihn trotzdem immer mal wieder zu ner Demo mit, weil eigentlich war er ja ganz ok. Und wir hatten viel zu tun damals, es gab ja nicht nur die Atomkraft, sondern Friedensbewegung, Frauenrechte, Umweltschutz… und gegen die Nazis mussten wir auch was tun. Wir hatten damals keine AfD, aber die Republikaner waren auch nicht besser. Allerdings hätte sich da keiner nach Wackersdorf getraut und Volksreden geschwungen.

Was für ein Glück, dass das schon ein paar Jahre her ist.  Weil jetzt wär das ganz anders. Da würden die Oberpfälzer, die  gegen die WAA kämpften, erst mal überprüft, ob da nicht vielleicht ein Rechter dabei ist. Und während wir noch überprüfen, käm ein kritischer Satz zur Atomkraft von der Weigel und schon hieß es, die kann man nicht unterstützen, schließlich ist die AfD dabei. Die „kritische Opposition“ zieht sich daraufhin aus dem Widerstand zurück und überlässt das Feld kampflos den Rechten. Die schicken zur nächsten Demo einen Redner, den keiner kennt und der sich erst am Mikro als AfDler outet. Wer zu der Demo hingeht, wird sofort als Querfrontler gebranntmarkt, und wer sagt, dass das mit der AfD inszeniert ist, um den Widerstand zu brechen, ist natürlich ein Verschwörungstheoretiker. Zur übernächsten Demo fährt die Linke hin und organisiert eine Gegendemo. Bei Facebook gibt es eine Gruppe „gegen die Oberpfälzer Bulldoggschwurbler“ und jeder, der es wagt, sich gegen die WAA zu positionieren, der wird übelst angegangen.

Wenn wir so gewesen wären, hätten wir jetzt auch noch eine WAA in Wackersdorf rumstehen. Aber wir würden mutig gegen die Rechten demonstrieren, natürlich gemeinsam mit der CDU…

Warum nur ist die „kritische Opposition“ so geworden?

Man kann doch nicht von jedem, der grad mal anfängt, kritische Fragen zu stellen, erwarten, dass er das Kommunistische Manifest auswendig runterbeten kann. Man kann Menschen, die sich erst mal orientieren müssen, doch nicht pauschal abkanzeln und sie den Nazis überlassen.

Es gab mal ne Zeit, da waren wir die Opposition und die Nazis haben wir heimgeschickt. Jetzt gehen wir, wenn auch nur vielleicht ein Nazi in der Nähe sein könnte.

Wenn ich eine linke Demo auflösen will, dann geb ich nem Nazi nen Kasten Bier und sag, schau da doch mal schnell vorbei… Inzwischen bestimmen die Rechten, ob wir demonstrieren oder nicht.  Wir sollten uns echt schämen!

Written on Mai 21st, 2020 , Politik

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